Unter Apfelbäumen

20:14



Ich wandere durch die Gärten meines Elternhauses. Weit und trocken erstrecken sie sich unter alten Obstbäumen. Ein heißer Sommernachmittag brütet über der kleinen Stadt, die Luft steht verbraucht zwischen den Stämmen und Büschen. Nur ab und zu streich eine sanfte Briese durch den Garten, bewegt ein paar Blätter und lässt den Rock um meine Beine tanzen. Für einen Moment kommt Leben in das Laub, bis sich dann wieder Ruhe über die Pflanzen legt, als wären sie nur kurz aus einem tiefen Schlaf hochgeschreckt.
Das Gras zwischen den Bäumen ist trocken und braun; die Halme kitzeln meine nackten Füße, als ich über die Wiese wandere. Die Sonne malt starre Muster auf den Rasen, kein Blatt bewegt sich in den Baumkronen über mir. Ich komme an dem kleinen Bienenhaus vorbei, vor den Stöcken die Bienen in großen Trauben. Eine einzelne Amsel sing in die Stille des Nachmittags, wie das Solo einer Opernsängerin klingt es zwischen den Bäumen.
Etwas weiter stehen die Johannisbeer- und Brombeersträucher. Ich pflücke ein paar Beeren, zerdrücke sie mit der Zunge bis sich mein Mund mit ihrem warmen, süß-säuerlichen Saft füllt.
Es erinnert mich an meine Kindheit, als wir hier in der Sonne mit meiner Großmutter standen und Brombeeren ernteten. Unsere Hände waren ganz klebrig und die blauen Ränder um unsere Münder verrieten warum die Körbe noch leer waren.
Ich rücke den zu großen Sonntagssonnenhut meines Vaters wieder zurecht, bevor er mir noch weiter auf die Stirn herunter rutschen kann. Er ist aus hellem Stroh geflochten und mit einem braunen Band gesäumt. Der Geruch von trockenen Gras und Wiesenblumen, die Erinnerungen an endlose Sommer, stiegen mir in die Nase und ich atme tief ein.
Ein kleiner, brauner Schmetterling flattert um die Apfelbäume, einige Fliegen summen über dem dürren Gras.

Ich schlendere weiter, zwischen den Bäumen hindurch, bis zu den schattigen, efeuüberwachsenen Mauern des mittelalterlichen Turms. Dort unter alten Nussbäumen und Fliederbüschen war es ein weniger kühler; Zitronenfalter tanzten über dem dunkelgrünen Gras.
Auf den moosbewachsenen Stufen setzte ich mich nieder, atme die neuen Düfte ein. Hier roch es anders, nach alten Steinen, Flechten und den noch saftigen, ledrigen Blättern des Jasmins.
Im Gebüsch bewegt sich etwas, Zweige knacksen, fast verhalten um die Ruhe des Ortes nicht zu stören. Zwei junge Katzen huschen hervor, sahen kurz zu mir und liefen dann weiter, in die Sonne, die Wiese entlang. Ich folge ihnen mit dem Blick, wie sie das schattige Grün verließen und hinaus in den gelbbraunen Apfelhein laufen.
Ein paar Ameisen laufen die Mauer des Turms empor bis sie zwischen den Steinen verschwinden. Über mir spannte sich das Blätterdach in allen Grüntönen, vom sonnenbeschienen Gelbgrün, bis zum schattigen Dunkelgrün eines Bergsees.
Die Zeit vergeht, ich weiß nicht, wie lange ich schon hier sitze, doch zum ersten Mal, seit einem Jahr, spüre ich wieder dass Sommer ist. In dieser zeitlosen Kapsel des Gartens, zwischen dem Duft des trockenen Gras und kühlen, tiefen Schatten. 


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